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Zwischen Enttäuschung und Neuanfang: Alkohol erschüttert das Familienglück

Das Familienglück scheint perfekt und alle sind glücklich – bis die Idylle Risse bekommt. Die Alkoholabhängigkeit stellt alle Familienmitglieder auf die Probe, ganz besonders die Ehe von Elisabeth und Herbert. Ein bewegender Rückblick auf eine Zeit, in der eine verharmloste Substanz zum traurigen Lebensmittelpunkt wird. Elisabeth M. hatte den Mut, ihre Erfahrungen mit dem Alkoholismus zu teilen. Eine Geschichte von Enttäuschung, Wut, Hoffnung und Neuanfängen. 


Foto: Pixabay


Verteidigung und Wegsehen 

In der Zeit, in der das alles bei uns scheinbar so wunderbar ruhig lief, veränderte sich mein Mann. Ich hatte immer mal wieder etwas nebenbei gearbeitet und mein Mann, der ging früh zur Arbeit und kam abends nicht so spät nachhause. Ich wusste dass er sich immer sein Bier getrunken hat. Er kam dann eben um sechs, halb sieben manchmal erst um sieben nach Hause. Es war aber nie so, dass ich gesagt hätte, dass er sturzvoll ist. Ich hab das nicht gemerkt. Mein Mann lief neben mir her und entwickelte sich munter zu einem handfesten Alkoholiker.  

Dann habe ich eines Tages den Mülleimer mal aufgeklappt, da lagen lauter kleine Fläschchen Jägermeister drin, aber bestimmt 30 Stück. Da hab ich gedacht, mein Gott wer säuft denn so. Das das mein eigener Mann war, habe ich gar nicht mitgekriegt. Der hat mir keine Möbel verrückt, der hat nicht gebrüllt, der hat nicht geschlagen. Der war müde, klar. Wenn meine Mutter schon mal gesagt hat: „Du, der Herbert trinkt.“ Dann hab ich ihn bis auf den letzten Blutstropfen verteidigt: „Wenn ein Mann arbeitet und den ganzen Tag unterwegs ist, dann kann der sich abends sein Bier trinken.“ 

Dann ging das Spielchen weiter, und ich war immer noch blauäugig genug, um meinen Mann zu verteidigen. Eines Tages bekam ich einen Anruf von der Bank, dass ich doch bitte sofort dafür sorgen sollte, dass mein Mann endlich krankgeschrieben wird. Da habe ich erst erfahren, dass er gar nicht mehr in die Firma gegangen ist. Er hatte sich aber in der Frühe von mir das Brot schmieren lassen und kam abends wieder nachhause. Wo er in der Zwischenzeit war, habe ich nicht gewusst. 


Schulden und Fassungslosigkeit 

Es ging Schlag auf Schlag. Dann stellte sich heraus, dass die Miete fast ein Jahr im Rückstand war und unsere Miete betrug 700 Mark im Monat. Dann stellte sich heraus, dass mein Mann überall Schulden gemacht hatte. In jeder Kneipe so ungefähr ein Deckel. So dass der Gerichtsvollzieher bei uns aus und eingegangen ist. Wir hatte keine Wertsachen in der Wohnung, so dass es bei uns nicht viel zu pfänden gab. Zwischenzeitlich kam meine Mutter zu Besuch und ich war in Sorge, dass sie etwas von unserer Situation mitbekommen würde. Ich hatte ein wenig gespart, das ging dann auch noch drauf.

Mein Mann und ich haben uns nicht gestritten. Er wollte seinen Frieden und ich hab das akzeptiert. Der schlief ja, das war doch angenehm für mich. Der hatte sein Bierchen getrunken und schlief. Es passierte ja nichts. Er wollte mich nicht ärgern, dann hat er lieber seinen Mund gehalten und ich wollte kein Krach und hab auch meinen Mund gehalten. Und hab eigentlich wie eine Katze vor einem Mauseloch gesessen und jeden Tag gewartet dass der aufhört. Der muss doch aufhören, der hat doch zwei Kinder, der hat eine Familie, der hat eine schöne Wohnung. Der hat doch alles was er braucht.

Das habe ich ihm auch gesagt, da gab er mir zur Antwort: „Der schönste Platz für ihn ist an der Theke.“ Todernst. Der schönste Platz für meinen Mann war an der Theke und der hatte eine intakte Familie. Ich konnte das nicht begreifen. 


Ich habe alles falsch gemacht? 

Ich wusste nicht wie es weiter gehen sollte. Da bin ich zu den Eller Nonnen in der Daimlerstraße gegangen und habe mir Hilfe gesucht. Das ist eine Gruppe die eben für die Angehörigen von Alkoholikern da ist.

Da saßen mindestens 20-25 Frauen, alle mit demselben Problem wie ich. Das erste, was sie mir sagten war: „Du machst alles falsch.“ Ich, die alles wunderbar gemacht hatte.

Meine Kinder erzogen, meine Wohnung sauber gehalten, noch nebenbei ein bisschen Geld verdient. Ich mach alles falsch? Das soll einer begreifen. Aber es war so. Die Eller Nonnen haben mich also gedrängt, am besten meinen Mann sofort zu verlassen. Aber das konnte ich nicht. Dagegen habe ich mich nicht mehr um ihn gekümmert und ich bin dafür regelmäßig in die Gruppe gegangen und da haben die immer gesagt: „Du darfst ihm das nicht immer so gemütlich machen. Gib ihm kein Essen, koch nicht für ihn, lass das jetzt. Der muss spüren, dass Du nicht mehr mitspielst.“

Hab ich vorbildlich gemacht. Hat bloß nichts genützt. Ich konnte machen was ich wollte. Inzwischen war die Wohnung zu teuer und ich musste also auch eine andere Wohnung haben. 


Der Bruch 

Mein Mann hat immer wieder versucht trocken zu werden, aber es gelang ihm nicht. Diese Zeit war ein richtiger Kampf für uns beide. Ich habe ihn eiskalt erpresst. Ich habe damit gedroht ihn zu verlassen. Die Anonymen Alkoholiker und Eller Nonnen haben immer zu mir gesagt:„ Denk daran, was Du sagst, musst Du auch machen. Du musst ganz konsequent arbeiten. Du kannst ihm nicht nur drohen und dann nicht handeln.“ Nach langem hin und her habe ich ihn verlassen.  

Damals hatte ich auch noch die Energie und habe es geschafft, mir ein möbliertes Zimmer zu suchen, welches ich dann auch auf der Luegallee gefunden habe. Das müsste im November 1974 gewesen sein.

Ich bin dann dahin gefahren und wurde von der Vermieterin ganz ernsthaft gefragt, ob ich alleine leben würde. Und ich habe eiskalt gesagt:„ Ja, ich lebe alleine.“ Das ich zwei Kinder hatte und noch einen Mann, das habe ich natürlich nicht gesagt. Meine Tochter war mitten in ihrer Abschlussprüfung als Fotogravurzeichnerin. Sie schlug sich ohne mich durch, blieb bei ihrem Vater und bereitete sich auf ihre Prüfung vor. 

Mein Sohn hat mir damals beim Umzug mit seinem VW Variant geholfen. In diesem Auto war ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein Topf und ein Herd. Ich bin dann also in dieses kleine Zimmer gezogen. 


Weihnachten im kleinen Zimmer 

Ein halbes Jahr hatten wir getrennt gelebt, als mein Mann eines Tages vor der Tür stand und wieder bei mir einziehen wollte. Das war 14 Tage vor Weihnachten 1974. Mein Sohn war zu der Zeit bei der Bundeswehr und er und wollte auch bei mir Urlaub machen. Alle Mann in dem einen Zimmer. Meine Mutter kam dann auch noch aus München angefahren. Sie war sehr um mich besorgt und wollte nach mir sehen. So haben wir mit fünf Personen am Heilig Abend in einem kleinen Zimmer gesessen, ohne Schlafgelegenheiten.

Mein Sohn hatte zum Glück eine Junggesellenbude. Ich musste meine Kinder Heilig Abend wegschicken, weil wir einfach keinen Platz hatten. Da habe ich mir geschworen, dass mir so etwas nie wieder in meinem Leben passieren wird. 


Funktionsmodus 

Es war eine sehr harte Zeit. Ich bin fast blind da durch geschwommen, weil mir überhaupt nichts anderes übrig blieb. Man funktioniert einfach und man kann nicht gucken, ist der Mann besoffen oder nicht. Das war mir auch schon egal. Er wollte nicht aufhören, ging in keine Klinik und fand kein Ende. Da habe ich nur noch für mich alleine gerudert. So, und dann stand ich genau wie nach dem Krieg wiedermal mit nichts in einer fürchterlichen Wohnung. Meine Tochter hatte ihre Prüfung bestanden und war nach Hamburg gezogen, wo sie in ihrem Beruf gearbeitet hat und ihren späteren Ehemann kennengelernt hat.

Mein Sohn hat inzwischen seine Ausbildung so eigentlich ganz alleine gemacht und war bei der Bundesbahn im Gleisbau gelandet. Der hatte es also auch irgendwie geschafft da durchzutrudeln. Bei der Bundeswehr wollte er nicht bleiben und war bei der Eisenbahn gelandet. Da war ich schon sehr froh, dass er untergebracht war. Mein Mann wohnte wieder bei mir. Das war doch schön, da waren wir doch wieder vereint. Ich hatte in der Zwischenzeit gelernt, dass ich nur an mich denke. Hab mich also nicht weiter gestört. Ich hab ihn auch da sitzen lassen. 


Anker 

Ich habe mir natürlich zuerst einmal Arbeit gesucht. Ich war inzwischen 48 Jahre und bin zu meinem ehemaligen Chef gegangen und habe ihn nach einer Arbeit für mich gefragt. Dort konnte ich dann erst einmal für halbe Tage arbeiten. Die Firma Becker war eine bekannte Düsseldorfer Firma die auf der Immermannstraße ihre Fabrik hatte. Da hatte ich halbe Tage eine feste Arbeit, meine Versicherung und mein Geld, so dass wir da ganz gut über die Runden kamen. Vom Beruf her hab ich mich ganz ordentlich dort einarbeiten müssen, denn die Arbeit zwischen Atelier und Konfektion ist grundverschieden. Das ist ein ganz anderes Arbeiten.

Aber ich hatte sehr nette Kollegen und sie nahmen alle sehr viel Anteil. Klar, man hatte immer wieder darüber gesprochen, ich sowieso, weil ich immer das Herz auf der Zunge hab, wie man es ja auch jetzt hier bei den Aufzeichnungen merken kann. Manchmal hab ich auch gedacht, na dann halt doch endlich mal deinen Mund. Aber nee ich musste das immer loswerden, ich hatte da nie Probleme mit, allen Leuten zu erzählen was los war. Diese Arbeit und der Kontakt zu anderen Leuten hatten mich getragen, also positiv getragen. Ich war voll auf die Arbeit konzentriert. So kam ich über die Runden. 


Das wunderschöne Jahr 

Nach einiger Zeit ging es Herbert gesundheitlich sehr schlecht. Es stellte sich dann leider heraus, dass er an Lungenkrebs erkrankt war. Er konnte also unmöglich die sechs Etagen in der Dorotheenstraße in unserer Wohnung bewältigen, so dass ich uns eine neue Wohnung suchen musste. Inzwischen habe ich gelernt, dass Alkoholismus für meine Begriffe schlimmer ist als Krebs. Denn ich habe wirklich durch dreimal umziehen alles verloren und ganz von vorne wieder anfangen müssen. Alles nur durch den Alkohol, weil mein Mann nicht mehr richtig denken konnte. Das ist eine ganz furchtbare Krankheit.  


Und da erst, eigentlich viel zu spät bin ich zum Wohnungsamt gegangen. Ich wusste schon, dass es diese Ämter gibt, aber ich hab es doch nicht für nötig gehabt, noch lange nicht. Ich war ja so was von überheblich. Aber ich holte mir Hilfe und bekam eine neue Wohnung in Eller. In dieser Wohnung lebe ich auch heute noch. Zum Glück haben mir liebe Bekannte bei der Renovierung und beim Umzug geholfen.

Dort in der Wohnung wurde zu allererst das Bett aufgebaut und da hinein mein kranker Mann gelegt. Er war inzwischen schon so abgemagert, dass er konnte schon gar nicht mehr richtig gehen konnte. Er war wirklich am Ende seiner Kräfte und mit Schuldgefühlen beladen. Ich bin zur Arbeit gefahren, die Firma war inzwischen in Neuss. Das war aber nicht so schlimm, da fuhren Firmenbusse. Mein Mann hat sich hier bemüht alles gut zu machen und hat uns Kartoffelsuppe gekocht und wenn ich nach Hause kam war die Wohnung aufgeräumt, so notdürftig wie er es als kranker Mann es machen konnte.  


Im Nachhinein muss ich sagen, dass dieses eine Jahr, in dem ich meinen Mann noch hatte, eine wunderschöne Zeit für uns war. Es ist eben so gelaufen. Mein Ehemann Herbert ist dann am 13. März 1979 gestorben. 


Das neue Leben 

Nach der Wiedervereinigung hat die Neusser Firma die Arbeit nach Ost-Deutschland ausgelagert und in Neuss wurde nur noch die Endkontrolle der Hüte durchgeführt. Die Hüte waren so schlecht gearbeitet, dass wir daran Pleite gegangen sind und alle entlassen worden sind. Die Firma hat dann Konkurs angemeldet. Nach meiner Meinung hat es an erster Stelle an der schlechten Qualität des Materials gelegen, das in Ost-Deutschland verarbeitet worden ist. Diese zwölf Jahre waren für mich wegen der entstandenen Rentenansprüche und der kleinen Rente von meinem Mann sehr wichtig. Nach der Entlassung habe ich nicht mehr gearbeitet. 


Reisen 

Dafür hab ich immer wieder mit der Kirchengemeinde Reisen gemacht. Da denke ich besonders an die Reise anlässlich der 600-Jahrfeier für Düsseldorf. Die Stadt hat damals eine Reise nach Ravenna in Italien angeboten. Der Heilige Apollinaris, der Stadtpatron von Düsseldorf liegt in Ravenna begraben. Diese Reise fand im April, Mai satt, wie ich find eine sehr schöne Zeit zum Verreisen. Ich war also gerade mal 60 Jahre alt und ich wollte gerne diese Reise mitmachen. Ich hab mich dort angemeldet und bin mit dem Katholikenrat Düsseldorf in zwei Bussen nach Ravenna gefahren. Begleitet wurde die Reise von mehreren Reiseführern, die uns perfekt über die besuchten Orte informiert haben. Es war eine wunderbare Italienfahrt. Diese achttägige Reise wurde von professionellen Vorträgen begleitet, die uns über Städte wie Padua, Modena oder Venedig informiert haben. Diese Reise war wunderschön, aber auch sehr anstrengend. Auf dieser Fahrt habe ich meine Reiselust entdeckt. Danach habe ich Urlaub auf Ibiza, in Santiago de Compostela und in Puerto Rico gemacht. 


Ein Wiedersehen 

Eines Tages bekam ich einen Brief, dass das Gymnasium 50-jähriges Jubiläum feiert und ob wir nicht alle nach Bensheim an der Bergstraße kommen möchten. Da rief die Helga aus Bonn an, nach ewiger Zeit: „Hallo hier ist die Helga. Wir treffen uns jetzt alle in Bensheim und wir freuen uns schon. Die Margit kommt auch. Ihr fahrt danach alle mit mir zurück in die Eifel, ich habe dort ein Gästehaus.“ Oh Gott hab ich gedacht, wie reich mag die geworden sein, wenn sie ein Gästehaus in der Eifel hat.

Wir haben uns tatsächlich alle in Bensheim getroffen. Ich hab die Margit noch abgeholt, weil ich damals ja auch schon motorisiert war. Wir sind dann zusammen nach Bensheim gefahren. Wir hatten ein irre schönes Zusammentreffen mit dieser alten Klasse. Alle Jungs waren da, wir waren fast vollzählig. Ein paar Mitschüler sind auch im Krieg gefallen, aber es waren sicher 25 Jungen und Mädchen noch aus dieser alten Klasse da. Am Abend sind wir dann nach Adenau gekommen und ich musste zu meinem Erstaunen feststellen, dass Helga ein wunderbares altes Gästehaus besitzt. In diesem Gästehaus gab es zehn Einzelzimmer und noch zwei Doppelzimmer. 


In diesem Haus lebten noch die Schwester und die Mutter von meiner Freundin Helga. Wir haben dann ein wunderbares Wochenende dort verbracht. Meine Freundin erzählte mir von ihren Sorgen um ihre 80-jährige Mutter, da diese so allein in diesen großen Haus im Wald leben würde.


Foto: privat


Ich hatte ja damals meinen Führerschein und ein Auto und bin dann von Düsseldorf nach Adenau gefahren, um Mömmchen Gesellschaft zu leisten. 


Auszug aus "Erinnerungen lassen sich nur vertiefen, wenn man sie immer wieder berühren kann", erzählt von Elisabeth M., aufgeschrieben von Bettina D, bearbeitet von Rebecca G.

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