Von der Graupensuppe bis zum Filet-Steak
Hannelore ist ein Düsseldorfer Mädchen, geboren 1933 in Flingern. Nach einer abgebrochenen Lehre als Schneiderin arbeitete sie in Büros, in einem Schreibwarengeschäft und als Reinigungskraft. Geheiratet wurde 1953. Ende der Fünfziger begann Hannelore mit einer Tätigkeit, die ihr ganzes Leben und das ihrer Familie verändern sollte.

Berufseinstieg in der Gastronomie
Bei meinem ersten Versuch zu kellnern, waren die Spagetti schneller als ich. Es war eine Katastrophe! Ich arbeitete in einer kleinen Milchbar in der Stadt und weiß bis heute nicht, warum die mich dort behalten haben. Dort sammelte ich erste Erfahrungen. Aber Übung macht ja bekanntlich den Meister, und langsam aber sicher kamen die Spagetti auf dem Teller beim Gast an.
Als unser Sohn Donald so sechs oder sieben Jahre alt war, begann ich in einem Lokal direkt gegenüber von unserer Wohnung. Später fing ich als Serviererin in einem chinesischen Restaurant auf der Rethelstraße an und wechselte dann in das „Cafe Fontana“ am Wehrhahn. Fred, mein Mann, war Elektriker. Während einem längeren Krankenhausaufenthalt wälzte er ein Buch über Mixgetränke und prägte sich das alles ein.
Von „Lolita“ und „Ramona“
Grässlich diese Namen! Aber so hießen die beiden Bars, in denen mein Mann und ich 1960 die Geschäftsführer waren. Das war der Beginn unserer Zusammenarbeit.
Ich erinnere mich noch, dass die Barfrauen Hochsteck- Frisuren trugen, wie sie damals sehr modern waren. Sie flirteten mit den Gästen und baten diese, ihnen ein Getränk zu spendieren. Dafür wurde ihnen im Bon-Buch ein Zeichen gemacht, und sie bekamen für jedes spendierte Getränk 1,- oder 2,- DM zusätzlich.
Wir blieben zwei Jahre Geschäftsführer in den Bars, dann trennten sich erst einmal wieder unsere beruflichen Wege.
Hühner Hugo und Florida
Fred hatte Geschmack an der Arbeit in der Gastronomie bekommen. Er wurde Barmixer im „Cafe Florida“ auf der Liesegangstraße. Dort trug er ein weißes Jackett mit Fliege, so eine Art Uniform. Er sah sehr gut aus und hatte bei den Gästen großen Erfolg. Alle nannten ihn dort nur „Sir“. Im Jahr 1967 gewann er bei einem Wettbewerb für Mixgetränke den ersten Platz.
Auch ich hatte mich beruflich weiter entwickelt. Ich arbeitete in vielen einschlägigen Restaurants unter anderem im Industrie-Club, im Hotel Breidenbacher Hof und in der Altstadt beim „Hühner Hugo“. Die Arbeit bei „Hühner Hugo“ war besonders schwer, es gab immer viele Teller zu tragen und das Lokal war sehr groß, aber ich habe mir vieles abgeguckt und eine Menge gelernt. Irgendwann bin ich nach „oben“ in den „Salon 1900“ versetzt worden. Der gehörte zu den „Heinrich Heine Stuben“ und war im Vergleich zum „Hühner Hugo“ dann schon die gehobene Gastronomie. Nicht mehr nur halbe Hähnchen und Hühnersuppe, dort bekam man damals schon Filet Steak.
Unsere neue Freiheit: das „Montana“
Wir hatten es uns reiflich überlegt. Nach so vielen Jahren in der Gastronomie, wo wir viel gelernt und unterschiedliche Erfahrungen gesammelt hatten, wollten wir unsere eigenen Ideen verwirklichen.
Um unseren Traum von der Selbständigkeit wahr werden zu lassen, suchten wir ein geeignetes Objekt und fanden es in Eller auf dem Werstener Feld, direkt neben dem Eller-Friedhof. Es war für uns ideal, ein Lokal, eine Trinkhalle und hinter dem Gebäude ein Haus, welches wir bewohnten konnten.
Mit dem Besitzer, der auch Architekt war, planten wir die nötigen Um- und Ausbauten. Es war ja nur ein Rohbau. Die Decken mussten abgehängt und Böden verlegt, die Inneneinrichtung geplant werden. Es sollte alles perfekt werden..
Wir legten Teppichboden aus und ein Schreiner fertigte nach unseren Vorstellungen die Inneneinrichtung. Alles was nur irgendwie in Eigenleistung zu bewerkstelligen war, machten wir selbst. Es war eine schöne Zeit!
Noch während des Umbaus zogen wir in das Haus. Die Kisten waren schon alle gepackt, als bei mir am Morgen des Umzugstages die Wehen einsetzten. Unsere Tochter Susanne kam 1969 zur Welt.
Anfang 1970 war dann der große Tag der Eröffnung von unserem „Cafe Montana“. Für eine Köchin hatten wir kein Geld, deshalb war die Küche mein Reich. Wir hatten eine reichhaltige Speisekarte und unsere Spezialität war das „Filet-Steak Montana“. Es war ein Filet mit Speck umwickelt, in einer mit Cognac verfeinerten Pfeffersahne Soße, mit Salatgarnitur und Toastbrot. Es kostete damals schon 12,50 DM. Zum Vergleich, ein Glas Bier kostete 0,60 DM, ein Korn 0,50 DM, alles inklusive Mehrwertsteuer und Bedienung. Aber viele Gäste kamen auch für meine Zwiebelsuppe oder die Muscheln.
War ich für das Essen zuständig, so war es ja wohl selbstverständlich, dass Freds Reich die Getränke waren. Wir hatten bei der Eröffnung des „Montana“ schon 49 verschiedene Whisky Sorten.
Wir blieben fünf Jahre im „Cafe Montana“. Mit der Zeit ging der Umsatz zurück. Uns fehlte die Biertrinker-Laufkundschaft, Gäste, die nur mal eben auf ein Glas Bier vorbei kommen. Das lag daran, dass wir für die Gegend ein Touch zu elegant waren. Natürlich wollten wir nicht, dass die Arbeiter mit ihren dreckigen Schuhen über unseren Teppichboden gingen. Die besuchten lieber die Kneipe an der nächsten Ecke.
Fred wollte es zuerst nicht wahr haben, aber es war ganz offensichtlich. Wir mussten das „Montana“ aufgeben.
Nach fünf Jahren ging dieser Traum zu Ende.
Das „Lenshölzer“
Ich war diejenige, die Nägel mit Köpfen machte. Fleißig studierte ich die Zeitungsinserate nach geeigneten Objekten. In Wersten fand ich eine Kneipe auf der Kölner Landstraße. Sie gehörte damals dem Ehepaar Lenshölzer. „Wollen wir uns nicht eine Kneipe nehmen, wo es richtig läuft? Wo die Gäste auf ihrem Heimweg oder von der Haltestelle auf ein Bier zu uns reinkommen? Wo das Bier läuft und die Gäste an den Tischen sitzen und knobeln?“ Ich musste viel Überzeugungsarbeit leisten, bis Fred endlich schweren Herzens zustimmte.
1975 übernahmen wir das Lenshölzer. Auch hier galt die gleiche Arbeitsteilung, Fred hinter dem Tresen und ich in der Küche..
Fred war hier voll in seinem Element. Manchmal musste ich auf ihn einwirken, weil er mit manchen Gästen stundenlang herum diskutierte und darüber vergaß, dass auch noch andere Gäste da waren, die ich dann, neben meiner eigentlichen Arbeit in der Küche, auch noch mit versorgen musste.
In dieser Zeit kam es auch schon mal zu Rissen in unserer Beziehung. Wie in jeder Ehe gab es auch bei uns Höhen und Tiefen. Aber wir haben immer zueinander gestanden, und konnten uns immer aufeinander verlassen.
Nach acht Jahren verkauften wir das „Lenzhölzer“ und es stand wieder einmal die Entscheidung an, wie es weitergehen sollte.
Fred sattelt um
Wir überlegten beide, wie wir unsere Zukunft gestalten wollten. Nach zwölf Jahren Selbstständigkeit hatten wir genug davon. War das Montana am Anfang noch unsere „Große Freiheit“, hatten wir in den darauf folgenden Jahren alle Höhen und Tiefen des selbständig seins erfahren. Wir sehnten uns nach geregelten Arbeitszeiten und weniger Verantwortung. Also entschlossen wir, die Selbstständigkeit aufzugeben und uns eine Anstellung zu suchen. Es war klar, dass ich in der Gastronomie bleiben sollte. Ich servierte wieder, unter anderem im Parkhotel.
Bei Fred ergaben sich zwei Möglichkeiten.
Als Geschäftsführer im „Weinhaus Krüger“ in der Altstadt oder als Pförtner bei einem Stahlbauunternehmen in Niederheid. Wir trafen eine Entscheidung. Fred nahm die Stelle als Pförtner an. Hier hatte er zwar Schichtdienst, aber geregelte Arbeitszeiten. Das war in 1983.
Schloss Garath
Fred erkrankte im Dezember 1993 schwer. Nach den Feiertagen erhielten wir die erschütternde Diagnose. Fred hatte Lungenkrebs. Er verstarb am 02. September 1994.
Freds Tod hinterließ bei mir eine große Lücke. Ich trauerte sehr um ihn, doch irgendwann riss ich mich zusammen, und überlegte mir, wie es jetzt weiter gehen sollte. Vor einigen Jahren hatte ich die magische Grenze der sechzig überschritten und dachte mir, dass das jetzt die letzte Chance war, noch einmal etwas ganz Neues anzufangen.
Im Garather Schloss hatten sich mehrere Büros angesiedelt. Meine Geschäftsidee war, diese mit richtiger Hausmannskost zu bekochen. Mein Vorschlag kam an, und so kochte ich an fünf Tagen in der Woche für die Mitarbeiter in den Büros. Die Büromitarbeiter waren begeistert. Endlich kein fast food mehr in der Pause, sondern richtig gute Hausmannskost.
Ich erstellte für jeden Tag in der Woche einen Speiseplan, in den sich die Mitarbeiter eintrugen, fuhr jeden Tag zum Einkaufen - bei mir gab es nur frische Zutaten -, kochte und kassierte dann auch. Die Büromitarbeiter waren begeistert. Endlich kein fast food mehr in der Pause, sondern richtig gute Hausmannskost. Schnell hatte ich auch einen Spitznamen. Alle nannten mich nur „Susi“. Jeden Tag kochte ich für ungefähr zehn bis fünfzehn Personen. Ein Mittagessen bei mir kostete acht Euro. Das war kostendeckend und für mich verblieb auch noch ein kleiner Verdienst.
Aber die Zeiten änderten sich. Einige Büros schlossen und andere zogen weiter weg in andere Räumlichkeiten. Pünktlich zu meinem siebzigsten Geburtstag machte ich Schluss. Langsam merkte ich, dass es mir doch zu viel wurde. Nach sieben Jahren ging ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Ein Imbiss in Garath
So ganz konnte ich mich von der Arbeit aber doch nicht trennen. Ich ließ mich von meinem Sohn Oliver dazu überreden, einen Imbiss in Garath zu kaufen.
Es war der totale Reinfall! Zusätzlich zum normalen Angebot an Pommes, Hähnchen und Currywurst boten wir jeden Tag auch ein Mittagessen an. Ich schrieb: „HEUTE! Wirsing mit Frikadelle“ auf eine Tafel und stellte diese vor die Tür. Die Leute gingen daran vorbei und sagten: „Du schau mal! Wirsing mit Frikadelle! Das hatten wir auch schon lange nicht. Das kochen wir heute.“
Ich glaube halb Garath hat sich bei mir ihre Anregungen für das Mittagessen geholt, aber so gut wie keiner hat bei uns gekauft. Wir erweiterten unseren Service und boten einen Kurierdienst an. Die Kunden konnten telefonisch ihr Essen bei uns bestellen und wir lieferten es mit dem Auto frei Haus. Das Problem: Weder Oliver noch ich kannten uns in Garath aus. So kam es, dass das Essen oft kalt war, ehe es beim Kunden ankam, sie sich zudem noch beschwerten, weil es so lange gedauert hat.
Das ging natürlich auf Dauer nicht gut. Wir rackerten von früh bis spät. Aber das Geschäft lief überhaupt nicht. Schließlich habe ich den Laden mit sehr großem Verlust verkauft.
Muckefuck und Kälberzähne
Wenn man sein ganzes Leben gearbeitet hat, ist es unvorstellbar sich plötzlich, im wahrsten Sinne des Wortes, zur Ruhe zu setzen. Ich suchte keine neue Aufgabe, fand aber trotzdem eine. Der Arbeiter Samariter Bund eröffnete ein neues Zentrum plus in Holthausen.
Als das Zentrum Eröffnung feierte, ließ ich mich von einer Bekannten mitschleppen. Meine Aussage damals: „Sehr schön hier, aber so alt kann ich gar nicht werden, dass ich hier beitrete!“ Ganz nach dem Motto „Sag niemals nie“ fand ich dann aber doch Interesse.
Als es eines Tages hieß, dass das gemeinsame Mittagessen wegen Ausfall des Caterers entfallen müsse, wurde ich sofort hellhörig.
Ich bot an, es mal zu versuchen, und so kam es, dass ich jetzt jeden Montag einen Großeinkauf zu absolvieren habe und jeden Dienstag im Zentrum plus am Herd stehe, um für ca. 20 Personen zu kochen. Fast so wie in alten Zeiten, nur mit dem Unterschied, dass ich zuverlässige Helferinnen habe. Wir kochen für so viele Personen auf einem einfachen Herd und es macht einen Riesenspaß. Ich brauche das.
Der ASB plante eine Ausstellung über die Nachkriegszeit. Dabei ging es um „Gesammeltes und Erinnertes“, auch um die Nachkriegsküche. So wurde das Projekt „Muckefuck und Kälberzähne“ ins Leben gerufen (Muckefuck ist Kaffeeersatz und Kälberzähne sind Graupen). Meine Gedanken gingen zurück in die fünfziger Jahre. Es war eine harte Zeit. Wenn es ganz dicke kam, dann sammelte ich noch ein paar Milchflaschen aus der Ecke und kaufte vom Pfanderlös ein halbes Pfund Graupen. Etwas Porree fand sich noch irgendwo, und dann kochte ich für uns eine leckere Graupensuppe. Graupensuppe haben wir alle immer gerne gegessen. Als unsere Tochter noch klein war, fragte sie erfreut: „Habe ich schon wieder Geburtstag?“ als sie sah, das es zum Mittagessen Graupensuppe gab
Und nun durfte ich Jahrzehnte später beim ASB für die Graupensuppe am Herd stehen! Ich muss gestehen, dass ich ein bisschen gepfuscht habe. In jedes Gericht habe ich ein bisschen Fett hineingeschmuggelt, deshalb hat es so gut geschmeckt. Wenn man bedenkt, dass direkt nach Kriegsende jedem Erwachsenen über 18 Jahren im Monat nur 310 g Fett zustanden, hat man vielleicht eine Vorstellung davon, wie „fettfrei“ damals gekocht wurde. Aber es hat allen geschmeckt, und viele sagen noch heute: „Koch doch mal wieder eine Graupensuppe.“
Ja, so bin ich wieder bei der Graupensuppe gelandet, wo ich doch schon mal beim Filet-Steak war. Aber es macht Spaß!
2011 erzählt von Hannelore S., aufgeschrieben von Ute M., bearbeitet von Reinhard R. 2025.
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