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Mit 16 Jahren: Kriegseinsatz in Holland mit Galgenhumor

Für Werner waren sein Onkel und seine Tante seine Eltern, denn sie nahmen ihn zu sich. Er war 1928 als 13. Kind einer Bergarbeiterfamilie in Bochum geboren worden, und da seine Mutter bei seiner Geburt gestorben war und sein leiblicher Vater sich neben seiner Arbeit nicht um seine Familie kümmern konnte, wuchs er bei Tante Anna und Onkel Karl in Düsseldorf auf.

Küste Holland/Emden (Foto: Jörg Schlösser/Pixabay)


Der Wehrmachteinsatz

Ich war 16 und mit dem ersten Transport des Jahrgangs 1928 sollte ich Ende November 1944 nach Neutraubendorf geschickt werden. Meine Eltern meinten, ich käme an die Mosel oder die Ahr, aber nach drei Tagen Eisenbahnfahrt kam der Transport im von Deutschen besetzten Novy Hrozenkov (deutsch: Neutraubendorf) im Protektorat Böhmen-Mähren hinter Prag an der slowakischen Grenze an.

Dort beim Reichsarbeitsdienst (RAD) (1) im Wehrmachteinsatz „genoss“ ich eine sehr straffe Ausbildung. Eigentlich schossen Soldaten, indem sie etwas mit dem rechten Auge anvisierten. Da ich von Kindheit an rechts keine ausreichende Sehkraft besaß, schoss ich „links“. Wenn man darauf bestand, dass ich „rechts“ schoss, traf ich die Zielscheibe meines Nachbarn, aber nicht meine eigene. Trotzdem habe ich mein Scharfschützenabzeichen gemacht.

Dann bekam ich eine Einberufung zur Wehrmacht in ein Panzergrenadierbataillon in Wuppertal. Von meinen Kameraden im RAD hörte ich nie wieder etwas. Eigentlich hatte ich mich zur Luftwaffe gemeldet, denn ich hatte bei der Hitlerjugend (HJ) (2) bereits die Segelfliegerprüfung und den Funkschein gemacht (s.auch Geschichte "Erst Begeisterung für die Fliegerei, dann zerstörte Häuser"), und zwar als schnellster Funkschüler.

Am 9. Januar 1945 stieg ich in den Zug nach Düsseldorf. Dort besuchte ich sofort einen mir bekannten Feldwebel beim Wehrbezirkskommando. Er war zuständig für die Freiwilligen der Luftwaffe. Dazu musste ich erst eine Prüfung in Münster ablegen. Anfang Februar wurde ich dann einberufen zur Luftnachrichtentruppe nach Augsburg, wo ich einige schlimme Luftangriffe auf die Stadt miterlebte.

Zwischen der Entlassung aus dem RAD und meiner Abkommandierung nach Augsburg konnte ich meine Lehre zum Chemielaborant, die ich in Düsseldorf begonnen hatte, durch eine bestandene Notprüfung abschließen. Ich war froh, dass ich sie machen konnte, denn eine normale Prüfung wäre schwer für mich geworden. Algebra war nicht mein Ding. Das hatten wir in der Volksschule nicht gelernt, mussten uns aber als Lehrlinge damit beschäftigen. Bei der Notprüfung gab es nur „bestanden“ oder „nicht bestanden“.

Die "Schlagsahnefront"

Von Augsburg aus ging es dann im März 1944 mit einem Transportzug nach Norden. Wohin es genau ging, wusste außer der Frontleitstelle keiner, denn man bekam nur eine Transportnummer ohne Zielangabe. Die Befürchtung war, dass es nach Berlin ging. Ich wurde plötzlich im Wagen wach, als dort Jubel ausbrach. Als ich fragte, was los sei, sagte ein Kamerad: „Hurra, wir kommen an die Schlagsahnefront20!“

Der Zug war bei Uelzen nach Westen abgebogen, und es war klar, dass es nicht nach Berlin ging – allerdings auch nicht nach "20". So wurden von den deutschen Soldaten die Einsätze in Dänemark und Norwegen genannt. Und es ging auch nicht nach Skandinavien. Endstation war dann Leeuwarden in Nordholland.

Dort wurden wir jungen Kerle mit den Worten empfangen: „Was wollt ihr denn hier?“ Ein vorwitziger Kamerad antwortete: „Das Vaterland verteidigen.“ Der Vorgesetzte sagte scherzend: „Hat dein Vater Land? Meiner nicht!“

Einer der älteren Soldaten (er war schon über 20 Jahre alt) sagte: „Jetzt weiß ich Bescheid. Ihr seid der Vergeltungsjahrgang, unsere Geheimwaffe!“ Der Adler auf der Uniform wurde Pleitegeier genannt. Das war alles reiner Galgenhumor.

In Holland hatte meine Truppe das Glück, dass wir immer zurückgenommen wurden, wenn die Front sich näherte. Ich glaube, es hat bei der Wehrmacht Vorgesetzte gegeben, die Rücksicht darauf genommen haben, dass wir ja alle erst 16 oder 17 Jahre alt waren. Jedenfalls habe ich die Front nie gesehen.


Keine richtige Waffenausbildung – das hätte gefährlich werden können

Richtig ausgebildet an der Waffe waren wir sowieso nicht. Dafür gibt es Beispiele: In Weesp hatte man immer zwei Stunden Wache und zwei Stunden Pause. Als ich von einer Wache zurück kam und mich ins Bett legen wollte, fand ich dort eine Eierhandgranate. Normalerweise waren diese an meiner Patronentasche befestigt, aber sie musste mir abgefallen sein. Die Situation war sehr gefährlich, aber es ist glücklicherweise nichts passiert.

In Friesland wurden wir in einem Panzerjagdkommando eingesetzt. Zwei Fahnenjunker blieben über Nacht in unserer Einheit. Sie waren mit dem Fahrrad gekommen und stellten ihre Panzerfäuste über Nacht an die Wand der Unterkunft. Plötzlich kam ein Unteroffizier herein, sah die Panzerfäuste und fragte, ob die Zündungen heraus genommen worden seien. Das hatten die jungen Soldaten vergessen. Also nahm der Unteroffizier die Zündungen heraus.

Am nächsten Morgen beim Essen nahm einer von uns, die noch nicht ausgebildet waren, eine der Panzerfäuste und klappte das Visier auf. Glücklicherweise war der Sprengkopf durch den Unteroffizier gesichert worden, sonst wäre er explodiert. So flog nur der Sprengkopf heraus und blieb liegen.

Meine Kameraden und ich wurden dann im Rahmen der Volksgrenadier-Division 21, in der Heer, Marine und Luftwaffe zusammengeschlossen waren, infanteristisch an Granatwerfern ausgebildet. Das war in Weesp, 15 Kilometer östlich von Amsterdam. Dort habe ich auch das Kriegsende erlebt, nachdem ich vorher noch in Leeuwarden, Groningen und Amersfoort stationiert war.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie es eigentümlich roch, als wir am Amsterdamer Bahnhof ankamen. Den Geruch kannte ich überhaupt nicht und ich kann ihn auch nicht beschreiben. Aber als ich viele Jahre später mit meiner Frau dieselbe Stelle aufsuchte, hatte ich sofort wieder diesen Geruch in der Nase. Und natürlich waren wieder alle Erinnerungen lebendig.

„Operation Manna“

Was heute wenig bekannt ist, war eine stillschweigende Abmachung zwischen den Alliierten (3) und der Wehrmacht in Holland, dass tieffliegende Bomber der Alliierten in der Gegend von Amsterdam und Rotterdam nicht angegriffen wurden, wenn sie zu einer bestimmten Tageszeit Lebensmittelpakete für die Hunger leidende holländische Bevölkerung abwarfen. Obwohl auch die deutschen Soldaten Hunger hatten, nahm kein Soldat eins dieser Verpflegungspakete an sich.

Im Laufe des April 1945 ließ der Reichskommissar für die besetzten Niederlande durchblicken, dass er für Nahrungstransporte für die hungernde holländische Bevölkerung gesprächsbereit war. Natürlich war auch ihm klar, dass Deutschland den Krieg verlieren würde. Es kam zu Verhandlungen mit den Briten über Lebensmittelabwürfe aus der Luft. Die Alliierten waren besorgt, dass ihre Hilfsflugzeuge abgeschossen werden könnten, und auch die Deutschen fürchteten, dass die Flugzeuge zwischen den Lebensmitteln Waffen für den Widerstand liefern könnten.

Schließlich einigten sich Deutsche, Amerikaner, Engländer, Kanadier, Russen und Niederländer am 28. April 1945 auf einen beschränkten Waffenstillstand. Schnell wurden provisorische Abwurfplätze geschaffen, vor allem Flughäfen, aber auch Rennbahnen. Die Engländer nannten die Operation „Manna“, nach dem biblischen Brot, das vom Himmel fiel.

Am 29. April, einen Tag später, warfen mehr als 200 Flugzeuge vom Typ Lancaster 500 Tonnen Lebensmittel ab. In den zehn Tagen folgten in 500 weiteren Flügen über 10 Millionen Tonnen – zwei Drittel kamen von den Briten, ein Drittel von den Amerikanern. Die Deutschen beschossen die Hilfsflieger nicht, und die Bevölkerung feierte die Lieferungen wie die Befreiung.

Der Einfluss der Nationalsozialisten

Die Nazis (4) hatten eigentlich geplant, den Abschlussdeich im Ijsselmeer/Holland zu sprengen. Aber der zuständige Generalfeldmarschall verzichtete zum Glück darauf. Denn die Folgen wären für Holland verheerend gewesen, ganz Nordholland und Friesland wären überschwemmt worden. Und die Holländer wären noch mehr gedemütigt worden. Eigentlich waren die Holländer ja gar keine Feinde, denn Deutschland war den Holländern zu Hilfe gekommen, um sie vor den Engländern zu schützen – zumindest wurde das so von den Nazis propagiert.

Nach der deutschen Kapitulation wurden meine in Holland stationierten Kameraden und ich interniert (5). Unter vollem deutschen Kommando marschierten wir zum Kastell Nyenrode bei Breukelen, nördlich von Utrecht.

Dort wurden ungefähr 17.000 deutsche Soldaten untergebracht, alle noch mit ihren Waffen, die ihnen erst zusammen mit den Uniformabzeichen und dem holländischen Geld in diesem Internierungslager abgenommen wurden. Sie standen immer noch unter deutschem Befehl. Nach drei, vier Wochen wurden wir wieder in Marsch gesetzt und es ging an Rotterdam und Amsterdam vorbei nach Den Helder an der Nordseeküste. Fahrzeuge und Pferdefuhrwerke fuhren über den Abschlussdeich, wir Soldaten wurden von englischen Booten nach Harlingen gebracht.

Von dort aus marschierten wir dann weiter nach Ostfriesland, am Ems-Jade-Kanal entlang. In dieser Sperrzone wurden alle deutschen Soldaten, die in Holland stationiert gewesen waren, untergebracht. Von da aus ging es dann ins Entlassungslager.

Unangenehme Vernehmung im Entlassungslager: Missverständnisse und Verständigungsprobleme

Ich kam ins Entlassungslager Emden. Aus mir bis heute nicht bekannten Gründen wurde ich als „verdächtig“ eingestuft und nicht entlassen, was ich nicht verstehen konnte. Ich bin heute der Meinung, man hatte geglaubt, ich sei Mitglied einer Fallschirmjägereinheit gewesen, obwohl in meinem Soldbuch ja etwas anderes stand.

Die Vernehmung war unangenehm und bestand hauptsächlich aus Missverständnissen wegen der Verständigungsprobleme. Man sah mir nicht an, dass ich gerade erst 17 Jahre alt geworden war, denn ich war groß und kräftig. Als ich dann den englischen Lagerkommandanten sah, war ich entschlossen, ihm mein Anliegen vorzutragen.

Ich kletterte zum Erstaunen meiner Kameraden unter dem Stacheldrahtzaun durch und trat zum Lagerkommandanten, einem englischen Major, der von einem Englisch sprechenden deutschen Marinefähnrich und einem englischen Dolmetscher begleitet wurde. Ich grüßte militärisch und bat um ein Gespräch. Ich musste Soldbuch und Erkennungsmarke abgeben, den beiden folgen und kam dann ins Gefängnis.

Da hatte ich mich in eine schreckliche Situation manövriert! An den Gefängniswänden standen Sprüche von Gefangenen, die vorher hier gesessen hatten: „Es geht hier eine Sage, nur noch 56 Tage!“ und ähnliches. Aber zu meiner Erleichterung blieb ich nur einen Tag dort. Plötzlich ging die Tür auf, und der englische Major mit einem Sergeanten traten ein. Sie sprachen etwas für mich Unverständliches, gaben mir meine Erkennungsmarke und mein Soldbuch zurück und gingen wieder. Die Tür ließen sie offen. Ich schaute den beiden verdutzt hinterher, bis sich einer der beiden umdrehte und zu mir sagte: „Was machen Sie denn noch hier? Ab ins Vierte Reich!“, das es so natürlich gar nicht gab.

Das war meine erste Begegnung mit der Demokratie. Die Prüfung hatte ergeben, dass ich viel zu jung war, um an irgendwelchen Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein. Vielleicht hatte der Major auch so einen halbwüchsigen Sohn zu Hause und deshalb Verständnis für mich. Seit dieser Zeit hatten die Engländer bei mir „einen Stein im Brett“. Die Engländer kontrollierten auch die Armbanduhren der deutschen Soldaten. Trug jemand eine Wehrmachtuhr, wurde sie abgenommen. Trug aber jemand eine private Uhr, durfte er sie behalten. Diese faire Haltung der Engländer hat mir sehr imponiert.

Ende Juni 1945 wurden die entlassenen Soldaten von den Engländern per LKW zu ihren Heimatorten verfrachtet. Von Emden aus ging es mit Zwischenstationen in Osnabrück und Weeze nach Düsseldorf. Ich wurde bis zu einer Schule auf der Ellerstraße gebracht. Als wir über die Helmholtzstraße fuhren, erinnerte ich mich an den Transport von Fremdarbeitern, den ich vor meinem Kriegsdienst beobachtet hatte.

Jetzt war ich in einer ähnlichen Situation wie damals die Fremdarbeiter. Plötzlich sah ich vom LKW aus eine Bekannte und schrie: „Hallo, Frau K.!“ Sie sah und erkannte mich, lief rasch zu meinen Eltern und sagte: „Der Werner ist auf dem Weg, ich habe ihn auf einem LKW mit lauter Soldaten gesehen.“

Die Nachkriegszeit begann

Nachdem ich in der Schule meine Entlassungspapiere und Marschverpflegung (ein Wurstbrot) erhalten hatte, wollte ich mich erst auf dem Weg zur Linienstraße machen. Ich trug meine Uniform mit einem gelben Dreieck drauf, das bedeutete, wer dieses Zeichen trug, war ein entlassener Gefangener. Als ich so am Eingang stand, drängelte sich jemand durch die Menge – das war mein Vater. Ich erkannte ihn, bevor er mich erkannte. Schließlich war ich schmutzig und unrasiert. Er war auf dem Weg zur Nachtschicht und suchte mich.

Aber ich war verpflichtet, mich auf dem kürzesten Weg beim zuständigen Bürgermeister und Arbeitsamt sowie bei der Lebensmittelkartenstelle zu melden. Das wurde von den englischen Soldaten kontrolliert.

Die Deutsche Polizei gab es noch nicht wieder. Anders als viele Kameraden hatte ich es nicht weit, denn mein Heimatort war ja Düsseldorf, wo auch viele entlassene Kriegsgefangene aus den umliegenden Städten abgeliefert worden waren.

Mit einem meiner Kameraden, Herbert, hatte ich Adressen getauscht. Er war dabei gewesen, als ich in Emden von den Engländern festgenommen worden war, und er schrieb mir nach seiner Rückkehr 1947, wie erstaunt er war, als er gehört hatte, dass ich noch lebte. Denn es war das Gerücht entstanden, dass ich nach meiner Gefangennahme von den Engländern erschossen worden war.

Alle meine Brüder sind übrigens lebend aus dem Krieg zurückgekommen. Mein Bruder Engelbert war Soldat auf einem U-Boot, das in den letzten Kriegsmonaten Flüchtlingsschiffe begleitete, so auch die „Wilhelm Gustloff“ (6).

Aber mein Bruder bekam eine Blinddarmentzündung und musste an Land ins Lazarett. Sein U-Boot wurde versenkt, er war der einzige, der dies überlebt hatte. Einem Kameraden hatte er versprochen, sich um seine Frau und Kinder zu kümmern, wenn er ihn überleben sollte. Das hat Engelbert auch getan. Er holte später diese Frau mit den Kindern aus der damaligen DDR, ließ sie bei sich wohnen und sorgte für sie.

Stanis, der polnische Kriegsgefangene, den ich 1942 während meiner Lehre als Chemielaborant kennen gelernt, und mit dem ich mich angefreundet hatte, war einmal nach Kriegsende kurz nach Düsseldorf gekommen und hatte nach mir gefragt, aber meine Mutter wusste zu dem Zeitpunkt gar nicht, wo ich war. Sie war kurz vor Kriegsende noch nach Meinerzhagen evakuiert worden.

Mein Vater war während des ganzen Krieges in Düsseldorf geblieben und hatte weiter bei den Kesselwerken gearbeitet, zuletzt als Pförtner.

Besuch bei Stanis Weihnachten 1945

Als die Amerikaner nach Düsseldorf kamen, wurden Stanis und seine polnischen Kameraden in das Dorf Frille in der Nähe von Minden verlegt, wo sie bis Januar 1946 blieben. Viele konnten wie Stanis nicht sofort in ihre Heimat zurück, da Litauen von den Russen besetzt war, und die Umsiedlungen in Polen begonnen hatten. Ich habe Janis in Frille einmal besucht.

Es war Weihnachten 1945. Um in das Lager zu kommen, trug ich eine polnische Uniform. Dort wurde viel gesungen, und ich sang mit. Ich erinnerte mich an ein Lied, bei dem im Refrain das entscheidende Wort „zò“ (übersetzt: was) war. Als ich an dieser Stelle plötzlich aus Versehen „was“ sang, schauten mich viele verdutzt an. Aber Stanis konnte den Kameraden, die mich nicht kannten, wohl ziemlich schnell erklären, warum ich als Deutscher in polnischer Uniform dort saß und polnische Lieder sang. Stanis hatte mir durch Lieder die polnische Sprache beigebracht.

Die Nachkriegsjahre, vor allem der Winter 1946/47, waren von Hunger geprägt. Alle schoben „Kohldampf“. Wir haben natürlich wie die meisten Menschen Kartoffeln geklaut, und zwar linksrheinisch. Dazu musste man mit einem Bötchen übersetzen oder die provisorische Pontonbrücke über den Rhein, die sogenannte Freeman-Brücke (7) benutzen.

Da ich zu dieser Zeit am Hafen auf Montage gearbeitet hatte, nutzte ich die Gelegenheit, um Kohlen zu „fringsen“ (8). Ich versteckte die Kohlen in meiner Aktentasche und trug sie nach Hause.

Jugend unter britischer Militärregierung: Hungersnot

Im heißen Sommer 1947 hat die britische Militärregierung ein Lager für Jugendliche am Blauen See bei Ratingen eingerichtet. Die Mädchen waren in der Jugendherberge untergebracht. Für das Zeltlager der Jungen suchte man möglichst unbelastete Aufsichtskräfte.

Da ich aktiver Sportler war, kam ich über den Ortsverband der Düsseldorfer Sportvereine (ODS) an den Posten eines Zeltführers in diesem Lager, das zu diesem Zeitpunkt für die Sportjugend veranstaltet wurde. Es gab auch Veranstaltungen für die politische Jugend. In jedes Zelt passten ca. 20 Personen.

Ich war für ein Zelt verantwortlich. Es war die Zeit der schlimmsten Hungersnot. Im Lager bekamen wir jedoch immer genug zu essen. Es gab so viel, dass wir unseren Eltern, wenn sie uns besuchen kamen, Proviant mitgeben konnten. Die Engländer waren sehr großzügig. Schon deshalb war jeder froh, der an diesem Zeltlager teilnehmen durfte. Auch für mich war es eine unvergessliche Zeit.

Neues Arbeitsleben: Enttäuscht von Kommunisten

Alle Düsseldorfer Stahlwerke waren 1945 noch geschlossen. Erst nach und nach bekamen die Firmen die Erlaubnis, weiter zu arbeiten. Mein Vater schlug mir vor, bei den Kesselwerken, wo er arbeitete, als Montagearbeiter anzufangen. Ich lernte jetzt zu nieten und zu schweißen und arbeitete an verschiedenen Stellen in Düsseldorf, so auch an den Gasometern in Bilk und Flingern.

Erst 1948 konnte ich wieder in meinem gelernten Beruf als Chemielaborant arbeiten. Ich fing am 11. Mai 1948 bei den Stahlwerken als Produktionslaborant an. Wenn der Stahl kochte, wurde eine Probe entnommen und eine Grundanalyse gemacht, eine sogenannte Spektralanalyse gab es damals noch nicht. Je nach Produkt, zum Beispiel Eisenbahnschienen oder Kurbelwellen, wurde unterschiedlicher Stahl gebraucht. Nach der Analyse wurde dann je nach Produkt Kohlenstoff, Phosphor, Mangan und anderes beigegeben. In diesem Beruf hat man damals sehr gut verdient, allerdings musste ich Schichtarbeit leisten: Frühschicht und Nachtschicht.

Ich war immer gewerkschaftlich organisiert. Zuerst war ich Jugendobmann. Politisch stand ich ganz links. Ich hatte in meiner Kriegsgefangenschaft einen Feldwebel kennen gelernt, der mich politisch sehr beeinflusst hat. Er war kriegsversehrt und nicht mehr einsatzfähig an der Front. Man hatte ihn deshalb zu einem Konzentrationslager bei Koblenz abkommandiert, wo er auf keinen Fall bleiben wollte. Er wollte unbedingt wieder an die Front. Sein Traum war die internationale Solidarität – damit hat er uns junge Männer angesteckt.

Ich wurde dann Mitglied der Kommunistischen Partei, aus der ich aber bald wieder austrat, weil ich von den Kommunisten enttäuscht war. Ich trat 1953 in die SPD ein, denn jetzt war ich vom demokratischen Sozialismus überzeugt. Dem bin ich bis heute treu geblieben.


(1) Der Reichsarbeitsdienst (RAD) war eine Organisation im nationalsozialistischen Deutschen Reich. Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts wurden ab 1935 verpflichtet, ihrem Volk im Reichsarbeitsdienst zu dienen.

Quelle: wikipedia


(2) Die Hitler-Jugend (HJ) war die Jugend- und Nachwuchsorganisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) von 1926 bis 1945. Sie wurde ab 1926 nach Adolf Hitler benannt und unter der Diktatur des Nationalsozialismus in Deutschland ab 1933 zum einzigen staatlich anerkannten Jugendverband mit bis zu 8,7 Millionen Mitgliedern (98 Prozent aller deutschen Jugendlichen) ausgebaut.

Quelle: wikipedia


(3) Das Wort Alliierte stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Verbündete, die ein Bündnis geschlossen haben, zumeist einen Krieg. Dabei musste es sich nicht um einen formellen Vertrag handeln, ein koordinierter Kampf gegen einen gemeinsamen Gegner reichte aus. … Vorwiegend werden unter den Alliierten die im Zweiten Weltkrieg gegen die Achsenmächte (Deutschland, Italien und Japan) verbündeten Großmächte (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland) verstanden.

Quelle: wikipedia


(4) Nazi ist das Kurzwort für Anhänger des Nationalsozialismus = Nationalist.

Der Nationalsozialismus ist eine radikal antisemitische, rassistische, nationalistische, völkische, sozialdarwinistische, antikommunistische, antiliberale und antidemokratische Ideologie. Seine Wurzeln hat er in der völkischen Bewegung, die sich etwa zu Beginn der 1880er Jahre im deutschen Kaiserreich und in Österreich-Ungarn entwickelte. Ab 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, wurde er zu einer eigenständigen politischen Bewegung im deutschsprachigen Raum …

Quelle: wikipedia


(5) Internieren heißt laut „Genfer Konvention“, dass kriegsführende Staaten das Recht haben, auf ihrem Staatsgebiet befindliche Angehörige fremder Staaten ohne Anklage auf unbestimmte Zeit gefangen zu nehmen. Im Falle einer Internierung werden die Betroffenen im Regelfall in sogenannte Internierungslager gebracht und bleiben dort unter Bewachung …

Quelle: wikipedia


(6) Die „Wilhelm Gustloff“ war ein Passagierschiff der Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF). Ihre Versenkung durch ein sowjetisches U-Boot vor der Küste Pommerns am 30. Januar 1945 zählt mit möglicherweise mehr als 9.000 Opfern zu den größten Katastrophen in der Seefahrtgeschichte.


(7) Wie alle anderen Düsseldorfer Brücken wurde die Skagerrak-Brücke am 3. März 1945 von der Wehrmacht gesprengt, um den Vormarsch der Briten und Amerikaner über den Rhein zu verzögern. Noch im selben Jahr wurde an ihrer Stelle eine Pontonbrücke errichtet – Freeman-Brücke genannt. Diese wurde 1947 durch Eisgang beschädigt und im Dezember desselben Jahres durch einen Schiffsunfall zerstört. 1948 wurde dann eine Behelfsbrücke als langjährig genutztes Provisorium fertiggestellt.

(8) Josef Kardinal Frings wurde mit dem Wort „Fringsen“ für „Mundraub begehen“ in der deutschen Sprache verewigt. „Wir leben in Zeiten, die in der Not auch der einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann.“

Auszug aus „Langweilig war es nie – Die Lebensgeschichte des Ehepaares Werner und Adele N.“;

Hier: Ehemann Werner N. zum Wehrmachteinsatz und Krieg

Erzählung von Werner und Adele N., aufgeschrieben von Rosi A., bearbeitet von Barbara H.

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