Glückliche Kindheit, Vertreibung, DDR-Schule
Joachim wurde 1938 in Waldenburg, Schlesien, geboren. Beide Eltern verstarben kurz nach seiner Geburt, und so wuchs er bei seinen Großeltern auf. Dank einer Chronik kann er seine Familiengeschichte weit zurückverfolgen und ist seiner Heimat weiterhin gedanklich verbunden. Diese musste er 1947 verlassen und wurde nach Stützerbach bei Ilmenau, Thüringen, gebracht, wo die Mitschüler ihm als ‘Preuße‘ großes Misstrauen entgegenbrachten.
“Du bist von der preußischen Seite, mit dir wollen wir nichts zu tun haben!“
Ich wuchs als Einzelkind bei meinen Großeltern auf, denn meine Mutter starb neun Tage nach meiner Geburt. Mein Vater war Fliegersoldat und kam 1947 durch einen Lungenstreckschuss ums Leben. Erst zehn Jahre später habe ich davon erfahren; bis dahin glaubte ich immer noch, dass er eines Tages nach Hause zurückkehren würde . In den folgenden Jahren lebte ich glücklich als Kind bei meinen Großeltern in Waldenburg, bis zu unserer Vertreibung nach Thüringen im Jahr 1947.
Im Jahr 1947 mussten alle Deutschen in Schlesien ihre Häuser und Höfe verlassen und durften nur wenig Hab und Gut mitnehmen. Meine Oma und ich wurden in Stützerbach bei Ilmenau in Thüringen untergebracht. Bereits 1660 war das Dorf entlang des Baches Lengwitz geteilt worden, wobei die eine Seite an Weimar, die andere an Preußen gefallen war. Wir wohnten auf der preußischen Seite. Das bedeutete, dass in der Schule kein Kind von der weimarischen Seite mit mir spielen wollte. Der Standardspruch lautete : „Du bist von der preußischen Seite, mit dir wollen wir nichts zu tun haben!“
Bei den Erwachsenen setzte sich diese Abneigung fort: wagte es ein Junge, mit einem Mädchen von der anderen Seite auszugehen, brachte er sofort das halbe Dorf gegen sich auf.
Das Schulsystem in der DDR
In Stützerbach ging ich fünf Jahre zur Schule. Das Schulsystem in der DDR lässt sich mit unserem heutigen System überhaupt nicht vergleichen. Nehmen wir die Gestaltung des Unterrichts: Wenn ich anstatt in Thüringen in Sachsen oder in Brandenburg die 8. Klasse besucht hätte, hätte ich trotzdem die gleichen Lehrbücher erhalten. Auch das Fachlehrersystem gab es nicht. Hier wurde operiert wie in der Grundschule: ich bekam einen einzigen Klassenlehrer, den ich sogar bis zum Ende der Schulzeit behalten hätte, wäre ich nicht 1952 in die Bundesrepublik ausgereist. Das System hat insofern geklappt, als wir mit dem Unterricht unseren gleichaltrigen Mitschülern im Westen immerhin um drei Jahre voraus waren!
Ganztagsunterricht
Die Politik diskutiert hierzulande immer noch darüber, wie man eine Ganztagsbetreuung bzw. einen Ganztagsunterricht am besten in den Schulen einführen sollte. In der DDR und im europäischen Ausland war diese Schulform längst etabliert. Dadurch hatten wir Kinder auch den Vorteil, unsere Hausaufgaben in der Schule zu erledigen. Und wir brauchten unsere Bücher nicht jeden Morgen zu tragen.
Da wir von 8 Uhr morgens bis 5 Uhr nachmittags Unterricht hatten, bekamen wir auch Mittagessen in der Schule. Darüber mussten wir wirklich heilfroh sein, denn wir konnten nie wissen, ob wir jeden Tag zu Hause etwas zu essen bekommen würden.
Arbeitsgemeinschaften in der Schule und in Fabriken
Der Wochenstundenplan wurde so gegliedert, dass man vormittags die normalen Unterrichtsfächer durchlief und sich nachmittags in Arbeitsgemeinschaften traf. Ab der 3. Klasse hat man schon vieles gelernt: Akkordeon spielen, Fanfare spielen, Schauspielerei in der Theatergruppe. Einen Radiodetektor konnte ich auch zusammenbauen.
Als Arbeitsgemeinschaft waren wir auch in der Porzellanfabrik und Glasfabrik von Stützerbach. Eigentlich war der Betrieb pleite, doch als Schüler konnte man dort noch lernen, wie Porzellan hergestellt wird. Das Glas, das hier produziert wird, ist übrigens das bekannte „Jenaer Glas“, nach dem auch der Fußballverein Carl Zeiss Jena benannt ist.
Ausreise in die Bundesrepublik und Berufsstart
Der 23. Dezember 1952 ist der Tag, an dem ich mit 14 Jahren Stützerbach verließ, weil mich meine Tante zu sich nach Düsseldorf holte. Kurz zuvor war meine Großmutter gestorben, und es gab in Thüringen niemanden aus meiner Familie, der mich hätte aufnehmen können. Für mich war bereits die berufliche Zukunft geplant: als Lehrer.
Zunächst jedoch arbeitete ich bei einer Firma für Sanitär- und Heizungstechnik und machte meinen Meister. 1957 trat ich dem ASB bei und wurde dort mit gerade einmal 19 Jahren technischer Leiter. Diese Aufgabe war das Richtige für mich. Später wurde ich hauptamtlicher Geschäftsführer beim ASB.
Auszug aus "Ein Leben für Land und Wohlfahrt", erzählt von Joachim, geschrieben von Thomas E.; Auszug verfasst von Marion PK
Fotos: Gerd Altmann/Alexander Lesnitsky auf Pixabay
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