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Ausbildung zum Bäcker: Schikanen und Bösartigkeiten

Erich, 1929 in Ostpreußen geboren, hat schon als ganz junger Mensch sehr wohl den Wahnsinn begriffen, der sich um ihn herum abspielte, und unter dessen Folgen er unsagbar gelitten hatte. Er ist in einer guten Gemeinschaft mit den Eltern, der Großmutter, den Geschwistern, fünf Jungen und einem Mädchen aufgewachsen. Doch mit der Schulzeit und dann noch der Bäckerlehre begann das Leiden.


Weg von zu Hause

Nach der Schule, die ich mit 14 Jahren beendete, musste ich, wie auch meine Brüder, in die Lehre gehen. Sie hatten alle etwas anderes gelernt. Ich fuhr mit der Mutter nach Gumbinnen zum Arbeitsamt, denn wir brauchten für mich eine Lehrstelle mit Unterbringung. Zu meinem neun Kilometer entfernten Heimatdorf gab es keine Verkehrsanbindung. So fanden wir schließlich eine Lehrstelle in einer Bäckerei in Gumbinnen.

Im Mai 1943 habe ich dann in der Bäckerei die Lehre begonnen, aber das war eine unbeschreiblich schwere Zeit für mich als junger Mensch, und ich lernte, dass nicht nur Kriegsergebnisse Lug und Trug waren, sondern, dass es auch besonders bösartige Menschen in meinem nahen Umfeld gab, worunter ich sehr gelitten habe.

Der Vorarbeiter: Ich war sein persönliches Opfer

In der Bäckerei gab es einen Vorarbeiter, der das Sagen hatte. Der Meister hielt sich immer im Hintergrund, war oft nicht für mich erreichbar. Dieser Vorarbeiter, Franz K. hieß er, setzte alles daran, mir das Leben so schwer wie nur irgend möglich zu machen.

Der Mensch hatte vor nichts und niemandem Respekt, und ich war sein persönliches Opfer. Die Schikanen kannten keine Grenzen. Er hatte sogar meine Brüder, die in Russland kämpften, schlecht gemacht, nur um mich zu provozieren. Es machte ihm einfach Freude, andere Menschen zu quälen.

Meine Wut auf diesen Menschen wuchs mit jedem Tag und ich musste mich schwer beherrschen, damit kein Unglück geschah. In meinem Kopf habe ich mir die schlimmsten Dinge für dieses Scheusal überlegt.

Selbst vor Prügel war ich nicht sicher, so dass ich mich gezwungen sah, auch schon mal zu flüchten. Neben mir arbeiteten auch zwei französische Kriegsgefangene in der Backstube. Wenn abends Feierabend war, musste ich die Backstube säubern und war folglich noch zwei weitere Stunden alleine beschäftigt. Da hatte es mir nicht geholfen, dass die Franzosen mir immer Hilfe angeboten hatten. Ich war dann völlig hilflos und ausgeliefert.

Zu meinen Aufgaben gehörte es, neben der Herstellung des Teiges für Brot und Brötchen den Backofen zu heizen. Dieser wurde mit Wasserdampf erhitzt. Um ihn zu befeuern, musste ich die Kohlen mit einer Schütte aus dem Keller heranschleppen. Auch hier war ich nur auf mich allein gestellt.

Als Lehrling brauchte ich eigentlich auch nicht schon nachts um 1 Uhr in der Früh zu arbeiten, aber ich musste wie alle anderen pünktlich auf der Matte stehen. Hilfe konnte ich von niemandem erwarten, obwohl ich beim örtlichen Arbeitsamt deswegen vorstellig geworden war.

Beim Stürzen hüpften Brötchen aus dem Korb

Als Lehrling musste ich morgens in der Frühe die Brötchen ausfahren, was auch nicht immer auf meine Begeisterung stieß. Das Firmenfahrrad hatte auf dem Vorderrad eine Stellfläche für einen Korb mit Brötchen. Wenn der Korb voll war, was meistens zum Wochenende der Fall war, ließ sich das Rad nicht mehr so einfach lenken. Ich musste mich auf das Gleichgewicht konzentrieren, damit die Brötchen nicht auf der Straße landeten.

Die Straßenverhältnisse machten mir das Fahren schwer. Die Straße bestand aus groben Steinen mit oftmals unterschiedlichen Höhen und Fugen. Schnell war da mal das Rad in eine der Fugen gerutscht, besonders, wenn es geregnet hatte. Es bestand immer die Gefahr des Stürzens, oder dass mir Brötchen aus dem Korb hüpften und auf der Straße landeten.

Bei einem Kunden musste ich einmal das Fahrrad abstellen und zu diesem Zweck wurde ein Bügel unter das Vorderrad gezogen. Als ich absteigen wollte, habe ich das Gleichgewicht verloren, und alle Tüten mit Inhalt lagen auf der Straße, schön gleichmäßig aus den Tüten heraus gekullert.

„Oh Gott, was mache ich bloß?“, war mein erster Gedanke. Schnell habe ich alle Brötchen wieder zusammen gesucht und einfach alle durcheinander in den Korb geworfen. Da ich die Brötchen so nicht ausliefern konnte, bin ich auf schnellstem Weg zur Bäckerei zurückgefahren. Dort traf ich zum Glück auf Hertha, unsere Verkäuferin, die im Laden bediente. Hertha war immer sehr freundlich zu mir und sie nannte mich liebevoll „Sohni“.

Ich sagte zu Hertha: „Schau mal, was mir passiert ist“, und ich habe ihr dann den Ablauf geschildert. Hertha holte die Kundenliste und sortierte dann die Brötchen wieder in die Tüten mit der jeweiligen Stückzahl. Sie waren alle noch brauchbar. Ich war so froh, dass Hertha mir geholfen hatte, denn wenn K. oder die Chefin von dem Malheur erfahren hätten, wäre wieder der Teufel los gewesen.

Beamtenwillkür: Polizist verpasste mir eine schallende Ohrfeige

Bei einer dieser Brötchentouren habe ich auch die Beamtenwillkür dieser Zeit auf das Schärfste zu spüren bekommen. Da ich ja zumeist früh am Morgen meine Runden drehen musste, bin ich auch schon mal auf dem Bürgersteig gefahren, denn der war glatter und die Sturzgefahr war nicht annähernd so groß. Die Brötchen sollten ja warm und in vorbestellten Mengen bei den Kunden ankommen.

Also fuhr ich am Regierungsgebäude vorbei und stieß an einem Morgen mit der geballten Staatsmacht in Form eines Polizisten, der soeben aus der Haustüre kam, zusammen. Noch ehe ich begriff, was eigentlich passiert war, hat mir der alte Kommisskopf von Polizist eine schallende Ohrfeige verpasst, so dass mir Hören und Sehen verging. Er war etwa 60 Jahre alt, hatte jede Menge Blech und Sterne an der Jacke und trat auf wie Herr General in Person.

Völlig verdutzt versuchte ich etwas zu erwidern, aber in seinem generalstabsmäßigen Ton sagte er zu mir, dass ich hier nicht zu fahren hätte. Als ich erneut einen Versuch unternahm, mich zu erklären, warum ich denn hier fuhr, erwiderte der „Ordnungshüter“, ich solle die Schnauze halten, sonst bekäme ich noch eine Ohrfeige. Völlig eingeschüchtert und verunsichert traute ich mich nicht, mehr zu sagen.

Damit aber nicht genug, der Herr Wachtmeister wollte es ganz genau wissen und die Bestrafung noch intensivieren. Hierzu forderte er mich auf, ihm Geld zu geben, was ich natürlich nicht hatte. Das habe ich dann auch kleinlaut zum Ausdruck gebracht.

Der Kommisskopf wollte aber keine Ruhe geben und erklärte mir, ich hätte mich am nächsten oder spätestens übernächsten Tag auf dem Polizeirevier einzufinden, um das Strafgeld zu zahlen. Das Revier lag auf derselben Straße wie die Bäckerei, in der ich arbeitete. Dort habe ich jedoch von dem Vorfall nichts berichtet, denn das hätte nur noch mehr Ärger bedeutet.

Mein Vergehen: Keine weiße Bäcker-Kappe

Total verunsichert bin ich am Tag darauf in die Polizeistelle gegangen, um vorstellig zu werden. Als ich den Raum betrat und mein pflichtgemäßes „Heil Hitler“ tönte, kommt der Polizist von gestern auf mich zu und begrüßt mich mit einer weiteren Ohrfeige. Völlig schockiert verstand ich die Welt nicht mehr und war mir keiner Schuld bewusst.

Ich wusste nicht, was der Mann wollte oder was ich nun wieder falsch gemacht hatte. Der Grund, warum ich diese Ohrfeige bekommen hatte, war der, dass ich als Bäcker keine weiße Kappe aufgehabt hatte, die ich bei Eintritt zur Obrigkeit hätte abnehmen müssen. Ich begriff überhaupt nicht, was der Irre von mir wollte und hielt ihm aus lauter Verzweiflung mein Portemonnaie hin, in dem jedoch nur ein paar Pfennige lagen.

Nachdem der Staatsdiener sah, dass bei mir nix zu holen war, forderte er mich auf, zu verschwinden. So konnte ich einer weiteren Bestrafung entkommen, die für mich ohnehin unverhältnismäßig war. Allerdings hatte der Vorfall mein Verständnis und Verhältnis zur Obrigkeit deutlich und nachhaltig verschlechtert, obwohl ich durch die Bäckerei ja Ungerechtigkeit gewohnt war. Ich hatte schließlich auch so einen Idioten in der Backstube. Aber diese Art von Beamtenwillkür und Machtmissbrauch war mehr als geschmacklos.

Unterdrückung in der Hitler-Jugend

Auch die politischen Entwicklungen gingen während meiner Lehre weiter und hinterließen Spuren an uns Kindern. So musste ich neben der Lehre auch der Hitler-Jugend (HJ,1) beitreten. Da wurde auch nicht lange gefragt, ob man mitmachen wollte oder nicht. Wer sich weigerte, bekam den schon bekannten Druck aus der Schule zu spüren, mit dem viele Kinder jedoch nicht zurecht kamen.

Sonntags, wenn wir eigentlich frei hatten, mussten wir morgens um 10 Uhr antreten, um anschließend einen 20-Kilometer-Marsch mit entsprechendem Gepäck durch die Gegend zu machen.

Von Begeisterung war nur bei dem Lehrer die Rede, denn als Lehrlinge hätten wir uns lieber ausgeruht, anstatt völlig sinnlos durch die Gegend zu latschen. Uns Jungens wurde bei jeder Gelegenheit das Gefühl vermittelt, dass wir alles, was wir machten, mit Druck verstärkt war. Selbst der gesprochene "Heil-Hitler"-Gruß (2) unterlag einer bestimmten Form und Handhaltung, bei dem der Daumen in eine vorgeschriebene Richtung zu zeigen hatte. Und wehe dem, der sich nicht daran hielt. Zum Glück kann man sich das heute kaum noch vorstellen, aber wenn jemand aus der Reihe tanzte, hatte der verdammt schlechte Karten, was auch Folgen für die Familien haben konnte.

Raus aus der verhassten Bäckerei – aber schlimmste Befürchtungen bewahrheiten sich...

Am 19. Oktober 1944 kam ich in die Backstube und der Meister sagte zu mir: „Fahr nach Hause, Junge. Der Russe kommt (3)!. Damit war er mich nach eineinhalb Jahren als Lehrling für immer los.

Ich kann nicht sagen, dass ich nun sehr traurig darüber war, nicht mehr in die verhasste Bäckerei zurück zu müssen, obwohl der Anlass Grund für schlimmste Befürchtungen weckte. Ich wusste ja damals nicht, was ich alles noch erleben musste. Vielleicht hätte ich mich für ein Weiterarbeiten in der Bäckerei entschieden, trotz aller Widrigkeiten. Aber wie so oft im Leben kommt es anders als man möchte und das war auch in meinem Fall nicht anders.

Was dann schon unmittelbar auf dem Heimweg nach Brauersdorf zu unserem Haus passierte entsprach meinen schlimmen Befürchtungen ...

(1) Die Hitlerjugend (HJ) war die Jugend- und Nachwuchsorganisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) von 1926 – 1945. Sie wurde ab 1926 nach Adolf Hitler benannt und unter der Diktatur des Nationalsozialismus in Deutschland ab 1933 zum einzigen staatlich anerkannten Jugendverband mit bis zu 8,7 Millionen Mitgliedern (98 Prozent aller deutschen Jugendlichen) ausgebaut.

Quelle: wikipedia


(2) Der Hitlergruß, im nationalsozialistischen Sprachgebrauch auch als Deutscher Gruß bezeichnet, war in der Zeit des Nationalsozialismus die übliche Grußform. Übernommen vom … italienischen Faschismus wurde er Ausdruck des nationalsozialistischen Personenkults um Adolf Hitler. Es handelte sich zunächst um den Gruß der NSDAP-Mitglieder, der nach der Machtergreifung 1933 zum offiziellen Gruß aller „Volksgenossen“ wurde. Beim Hitlergruß wurde der rechte Arm mit flacher Hand auf Augenhöhe schräg nach oben gestreckt. Dazu wurden meist die Worte „Heil Hitler“ oder „Sieg Heil“ gesprochen. Wenn der Gruß Adolf Hitler persönlich entboten wurde, lautete die Grußformel „Heil mein Führer“ …

Quelle: wikipedia


(3) Im Sommer 1944 war den sowjetischen Truppen die Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte gelungen, fast unaufhaltsam rückte die Rote Armee bis an die östliche Grenze des Deutschen Reiches heran. Die weit nach Osten vorgelagerte Provinz Ostpreußen spürte zuerst die Schrecken des Krieges. Der erste Großangriff durch die sowjetische Armee brach am 16. Oktober 1944 während der Gumbinnen-Goldaper-Operation los und konnte im Raum südlich Gumbinnen bis zur Angerapp durchstoßen.

Auszug aus „Jung, wir sind am Arsch der Welt gelandet – oder wie das Leben so spielt“, erzählt von Erich S., aufgeschrieben von Andreas L. (2017), bearbeitet von Barbara H. (2022)

Foto: joduma/Pixabay

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